Der Rechtsweg zu den Vergabenachprüfungsinstanzen nach §§ 155, 156 GWB ist nach aktuellen Entscheidungen in NRW und Sachsen-Anhalt nicht gegeben. Das OVG NRW hat dies jüngst mit Beschluss vom 16. Dezember 2022 - 13 B 839/22 entschieden. Die Entscheidung liegt auf der Linie des OLG Naumburg, Beschluss vom 30.03.2022 - 7 Verg 2/22.

Rettungsdienstvergaben in Sachsen-Anhalt seien - so das OLG Naumburg - übertragene Aufgaben der Daseinsvorsorge, die sich in den Bahnen des öffentlichen Rechts bewegen. Eine ausdrückliche bundesgesetzliche Zuweisung der vorliegenden Streitigkeit zu einem anderen Rechtsweg i.S.v. § 40 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 VwGO bestehe nicht. Die Bereichsausahme greife ein, so dass der Rechtstreit ist gem. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG an das zuständige VG zu verweisen sei. Die nationale Rechtsprechung gehe übereinstimmend davon aus, dass § 107 Abs. 1 Nr. 4 Hs. 2 GWB unionsrechtskonform dahin auszulegen sei, dass für die Anerkennung einer Organisation als gemeinnützig vorausgesetzt werde, dass deren Zweck in der Erfüllung von Gemeinwohlaufgaben bestehe, sie nicht erwerbswirtschaftlich tätig seien und etwaige Gewinne reinvestierten, um das Ziel der Organisation zu erreichen. Bei der Beurteilung des Vorliegens dieser Voraussetzungen dürfe berücksichtigt werden, dass eine Organisation oder Vereinigung zur Meidung der Aberkennung ihres steuerrechtlichen Privilegs nach § 52 AO verpflichtet sei, dauerhaft eine Tätigkeit auszuüben, die darauf gerichtet sei, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos, d.h. ohne Gewinnerzielungsabsicht, zu fördern. Es komme ausschließlich darauf an, an wen sich die aktuelle Vergabe richtet. Schließe der AG in dem konkreten Vergabeverfahren wirksam aus, dass der Auftrag an eine Organisation oder Vereinigung mit Gewinnerzielungsabsicht verge-ben werde, so sei die Bereichsausnahme erfüllt. Eine Abweichung von anderen OLG-Entscheidungen läge nicht vor, weil dort andere Fallkonstellationen einschlägig seien. Die Mitgliedsstaaten seien unter Beachtung des Effektivitätsgrundsatzes und des Äquivalenz-grundsatzes frei darin, welchem nationalen Ge-richt sie die Zuständigkeit für eine Entscheidung über einen Rechtsstreit im öffentlichen Auftrags-wesen übertragen würden. Das OVG Sachsen-Anhalt habe sich in den letzten Jahren mehrfach mit rettungsdienstlichen Auswahlverfahrens be-fasst. Es sei also von der Eröffnung des verwal-tungsgerichtlichen Rechtsweges ausgegangen. Diese fachgerichtlichen Klärung der Sach- und Rechtslage müsse erfolgen, bevor sich verfas-sungsrechtliche Fragen stellen (m.H.a. BVerfG, Beschluss v. 30.3.2020, 1 BvR 843/18).

Das OVG NRW geht - im Gegensatz zum VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 13. Juli 2022 - 15 L 743/22 - davon aus, dass die Bereichsausnahme für Rettungsdienstleistungen eingreift.

Die Voraussetzungen des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB würden voliegen, weil sich der Antragsgegner als Träger des Rettungsdienstes entschieden habe, ausschließlich gemeinnützige Organisationen oder Vereinigungen im Sinne der oben genannten Rechtsprechung des EuGH („Falck Rettungsdienste und Falck“) zu beauftragen. Der Annahme des Verwaltungsgerichts, dass für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Bereichsausnahme „die von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen erbracht werden“ nicht auf die konkrete Ausschreibung abzustellen sei, sondern darauf, ob die Ausgestaltung der landesrechtlichen Regelung zur Übertragung rettungsdienstlicher Leistungen gemeinnützige Organisationen oder Vereinigungen bei der Vergabe privilegiert, sei nicht zu folgen. Die durch § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB erfolgte Umsetzung des Art. 10 Buchst. h der Richtlinie 2014/24/EU in nationales Recht, gebietee ein solches Verständnis. Das Landesrecht enthalten – anders als die Vergabekammer Westfalen (Beschluss vom 15. Juni 2022 - VK 1-20/22) und wohl auch das Verwaltungsgericht meinen würden – keine Wertung dahin, dass der Aufgabenträger die Durchführung des Rettungsdienstes stets sowohl gegenüber gemeinnützigen als auch gewerblichen Anbietern ausschreiben müsste. Dem Träger des Rettungsdienstes verbleibt neben der Ermessensentscheidung, ob er die Rettungsdienstleistungen überhaupt auf Dritte übertragen will, aber auch ein Ermessen dahingehend, ob er gewerbliche Anbieter in die Ausschreibung einbezieht oder nicht. Insofern unterscheidet sich die Regelung letztlich nicht von solchen in anderen Bundesländern, die die Möglichkeit einer Privilegierung gemeinnütziger Organisationen ausdrücklich vorsehen.

Die Leitsätze zur Vergabe einer Trinkwasserkonzession lauten wie folgt:

1. Eine Gemeinde unterliegt als marktbeherrschender Anbieter bei der Vergabe einer Trinkwasserkonzession dem kartellrechtlichen Diskriminierungsverbot.

2. Die Vergabe einer Trinkwasserkonzession unterliegt nicht dem Primärrechtsschutz nach dem GWB. Für das sog. Kartellvergaberecht, d. h. die Regelungen zur Umsetzung der vergaberechtlichen EU-Richtlinien ergibt sich die Bereichsausnahme aus § 149 Nr. 9 GWB.

3. Eine analoge Anwendung der vergaberechtlichen Vorschriften auf die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen außerhalb des GWB-Vergaberechts kommt nicht in Betracht, weil spezialgesetzliche Vorschriften nicht isoliert analogiefähig sind.

4. Soweit eine Dienstleistungskonzession nicht dem Vergaberecht unterliegt, aber eine sog. Binnenmarktrelevanz aufweist, ist das EU-Primärrecht zu beachten, d. h. insbesondere die Niederlassungsfreiheit und die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs.

5. Das Rechtsinstitut der Inhouse-Vergabe ist auch im Bereich der Dienstleistungskonzessionen außerhalb des Anwendungsbereichs des Vergaberechts anerkannt.

Die Entscheidung wird in der aktuellen Stunde erläutert.

Bei Bereichsausnahmen geht es primär die Frage, welcher Gerichtsbarkeit für die Überprüfung von Auswahlentscheidungen zuständig ist. "Bereichsausnahme" aus vergaberechtlicher Sicht bedeutet, dass förmliches Vergaberecht nicht Anwendung findet.


Die Klärung von Bereichsausnahmen findet in der Rechtsprechung statt, was daran liegen könnte, dass sich die unterlegenen Unternehmen durch die vergaberechtliche Überprüfung eine intensivere Rechtsschutzdichte erhoffen. Rettungsdienstkonzessionen sind nur ein Teil (aber ein sehr streitträchtiger Teil) der Bereichsausnahmen wie die aktuellen Entscheidungen in NRW und Sachsen-Anhalt zeigen.

Neben den BADV-, CsgG-, EnWG- und GeWO-Beauftragungen sind Vergaben in den Bereichen der Rechtsberatung, Arbeitsverträge, Schiedsgerichte, Forschung/Entwicklung, Mediendienste, Hörfunk, ausschließlichen Rechte, Wasserkonzessionen (siehe die aktuelle Entscheidung des OLG Naumburg), Lotterie, Luftverkehr, Verteidigung, Sicherheit, Vergaben mit Sicherheitsinteressen, sozialrechtlicher Dreiecksverhältnisse, öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit, Finanzierung (öffentliche Zuschüsse) und Nutzung öffentlicher Bereiche oder Ressourcen sowie Wegerechte keine GWB-Konzessionen. Diese Ausnahmen werfen immer - ebenso wie ÖPNV-Konzessionen - zahlreichen Rechtsfragen auf. Diese werden in den aktuellen Konzessionsrechtstagen praxisrelevant erörtert.



Das VG Dresden, Beschluss vom 18.08.2022 - 4 L 433/22 und das OVG Bautzen Beschluss vom 13.10.2022 – 4 B 241/22, haben ebenso wie die Vergabekammer Sachsen Beschluss vom 2. September 2022 - 1 SVK 015-22 die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit angenommen.

Der Auftraggeber hat die Vergabeverordnung entsprechend einem Vergabeverwaltungsverfahren angewandt. Das Angebot der Antragstellerin habe nicht den Vorgaben des Antragsgegners entsprochen und habe damit Änderungen an den Vergabeunterlagen i. S. v. § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV enthalten. Es sei daher zutreffend ausgeschlossen worden.

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.03.2020 - Verg 11/18

Leitsätze

1. Eine Dienstleistungskonzession unterscheidet sich von einem Dienstleistungsauftrag dadurch, dass die Gegenleistung für die Erbringung der Dienstleistung entweder ausschließlich in dem Recht zur Nutzung der Dienstleistung oder in diesem Recht zuzüglich der Zahlung eines Preises besteht.

2. Ob und inwieweit der Konzessionär bei der Verwertung der ihm übertragenen Leistung tat-sächlich den Risiken des Markts ausgesetzt ist und er das Betriebsrisiko ganz oder zumindest zu einem wesentlichen Teil übernimmt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.

3. Soll der Auftragnehmer nicht nur das Recht erhalten, die Dienstleistung zu verwerten, sondern zusätzlich zu seinen Einnahmen aus Beförderungsentgelten öffentliche Ausgleichszahlungen und Zuwendungen erhalten, soll ihm ein Dienstleistungsauftrag erteilt werden.

4. Das Nachschieben von Gründen ist aus Gründen des Beschleunigungsgrundsatzes zuzulas-sen, wenn keine Anhaltspunkte für eine Manipulation vorliegen und die Transparenz des Vergabeverfahrens gesichert ist.

5. Behauptete Verstöße gegen Kartellrecht sind im Wege einer Inzidentprüfung innerhalb einer vergaberechtlichen Anknüpfungsnorm, die das Wettbewerbsgebot sein kann, zu überprüfen

Eine Dienstleistungskonzession unterscheide sich nach dem OLG Düsseldorf von dem im konkreten Fall vorliegenden Dienstleistungsauftrag dadurch, dass die Gegenleistung für die Erbringung der Dienstleistung entweder ausschließlich in dem Recht zur Nutzung der Dienstleistung oder in diesem Recht zuzüglich der Zahlung eines Preises bestehe. Ob und inwieweit der Konzessionär bei der Verwertung der ihm übertragenen Leistung tatsächlich den Risiken des Marktes ausgesetzt sei und er das Betriebsrisiko ganz oder zumindest zu einem wesentlichen Teil übernehme, hänge von den Umständen des Einzelfalls ab. Die Zuschlagsdestinärin erhalte öffentliche Ausgleichszahlungen und Zuwendungen und trage damit keine Marktrisiken.

Behauptete Verstöße gegen Kartellrecht seien im Vergabeverfahren und in Nachprüfungsverfahren grundsätzlich zu überprü-fen. Dies erfolge im Wege einer Inzidentprüfung innerhalb einer vergaberechtlichen Anknüpfungsnorm des Wettbewerbsgrundsatzes gem. § 97 Abs. 1 S. 1 GWB sein, der hier jedoch nicht verletzt sei.